Sonntag, 6. Mai 2012

Die Prophezeiung Kapitel 9 (Kindermädchen wider Willen)


Kapitel 9: Urgandel im Hundertachtunddreißigsten Mondzyklus nach der Besetzung: Irgendwo zwischen den Fürstentümern Urlandis und Burinda

Wallungur hatte sich gut erholt. Die ersten Tage nach seiner Verbannung hatte er in einem hohlen Baum Unterschlupf gefunden und seine Wunden versorgt. Mit einem Stock hatte er die Wundsalbe auf seinem Rücken aufgetragen. Von jungen Eichen hatte er die Rinde geschält und getrocknet. Aus dem daraus entstandenen Bast hatte er sich Stricke geflochten und Schlingen gemacht, mit denen er Hasen und Nerze fing.

Den Wunsch zu sterben hatte er aufgegeben. Er wollte mit Swanthe die Wanderschaft an der Seite Jareds antreten wenn sein Gott ihn zu sich holen würde. Wallungur wollte in den Norden gehen und sich bei den Schmieden ansiedeln, sowie er und Swanthe es geplant hatten. Doch würden sie einen verbannten Zwerg aufnehmen? Diese Frage blieb offen. Einmal hatte er Zwerge seines Volkes beim Jagen beobachtet und darunter seinen Vater erkannt. Gerne wäre er zu ihm gegangen und hätte ihn um Vergebung gebeten, doch ihm hatte der Mut gefehlt.

Als er sich einen Vorrat Trockenfleisch angelegt hatte verließ er seinen Baum und machte sich auf in den Norden. Aus den Hasenfellen hatte er sich eine Tasche gemacht in der er seine Habseligkeiten packte. Nach einigen Tagen traf er auf die ersten Menschen. In einem Dorf tauschte er einen Nerz gegen genug Stoff um sich einen neuen Umhang zu machen. Eine Gruppe Zwerge, die bei den Schmieden im Norden Waffen und Werkzeuge erstanden hatten, gaben ihm im Tausch gegen Nerze eine langstielige Streitaxt und ein Kettenhemd. Natürlich waren die Felle weit mehr wert gewesen, doch er konnte nicht wählerisch sein. Nun fühlte er sich wieder als ein richtiger Zwerg. Wenn er nicht Tauschen musste hielt er sich in der Nähe der Wälder und im hohem Gras um sich vor den Augen der Nachtalben zu verbergen. Er war nicht feige, wollte aber jede Auseinandersetzung vermeiden.

Er hatte seine Schlingen ausgelegt und sich ein Lager unter einem umgefallen Baum aufgeschlagen. Als er im Schein des Halbmondes einen Menschen mit einem seltsam geformten Buckel in Richtung Westen wandern sah.  *So ein Dummkopf.* dachte sich der Zwerg. In der Nacht waren die Nachtalben und vor allem die Mudroks am aktivsten. Wallungur konnte in dieser Nacht keinen richtigen Schlaf finden. Immer wieder ließ ihn etwas aufschrecken: das Knurren der Raubtiere, Schlagen von Pferdehufen und das Schreien der Kauze.

Als die Sonne die dunklen Wolken vertrieb, brach der Zwerg sein Lager ab und machte sich auf seine Fallen zu kontrollieren. Er hatte bereits drei Hasen an seinem Gürtel und war auf dem Weg zur nächsten Falle, als er in der Ferne etwas entdeckte. Etwas Braunes und Schlankes. Es war zu weit entfernt um zu erkennen um was für ein Tier es sich handelte. Vorsichtig näherte sich der Jäger und konnte bald etwas erkennen. Arme und Beine, das war kein Tier sondern ein kleiner Mensch. Es war ein Kind.

Der Zwerg trat näher an das Kind heran. Die filzigen braunen Haare reichten bis zu den Knien und das dünne Knöchel lange Hemd war zerrissen und vom Morgentau durchnässt. Wallungur ging in die Hocke. „Hey du, alles okay mit dir?“ Anstatt einer Antwort gab das Kind, das nach dem Aussehen ein Mädchen war, nur unverständliches Gebrabbel von sich. Wallungur versuchte es noch einmal: „Hast du Hunger?“ Wieder bekam er keine Antwort. Er flößte dem Kind etwas Wasser ein und warf ihm einen Brocken Trockenfleisch hin. „Na dann mach’s gut!“

Wallungur erhob sich und setzte seinen Weg fort. Als er seine letzte Falle erreicht hatte und einen Nerz aus der Schlinge holte, spürte er blicke in seinem Rücken. Er schaute sich um und da war das Kind. In der Hand hielt es das Stück Trockenfleisch. „Was willst du?! Verschwinde!“ rief er dem Mädchen zu. Er stopfte den Nerz in seine Tasche und ging weiter. Gegen Mittag begann es zu regnen und er suchte sich einen Unterschlupf. In einer hohlen Eiche entfachte er ein Feuer und begann die Tiere zu enthäuten.
Der Regen hatte sich inzwischen in ein Gewitter verwandelt, als plötzlich das Mädchen vor der Baumhöhle stand. „Ich hatte doch gesagt du sollst verschwinden!!“ schrie er, doch das Mädchen schaute ihn nur mit großen Augen an. Der Jäger brummte etwas in seinen verstümmelten Bart, dann zog er das Mädchen in den Baum. Noch immer hatte das Kind das getrocknete Fleisch in der Hand. Wallungur schüttelte den Kopf. „Du musst es Essen, von allein krabbelt es nicht in deinen Mund!“ Er nahm ihr das Fleisch weg und biss hinein. „Siehst du, so geht das!“ sagte er kauend.

Das Mädchen streckte den Kopf vor und öffnete den Mund. Der Zwerg schaute nur erstaunt. „Denkst ich kaue es für dich? Ich bin doch kein Vogel!“ Dann kam ihm die Idee. Er hatte noch Himbeeren die er gesammelt hatte. Er holte den Fellbeutel aus seiner Tasche und hielt sie dem Kind hin. Doch wieder schaute sie ihn mit offenem Mund an. Er versuchte ihr den Inhalt in den Mund zu schütten doch dabei fiel das meiste daneben. „Dann eben anders!“ sagte er und legte sich das Mädchen bäuchlings über die Beine. 

Er nahm eine Handvoll Beeren und drückte sie dem Kind in den Mund. Das ging schon besser.  Schmatzend kaute das Kind die Beeren wobei sie ihre Hände neben ihren Kopf hielt. „Willst du wegfliegen? Oder was hast du vor!“ fragte Wallungur spöttisch und schob wieder eine Handvoll Beeren in ihren Mund. Als der Beutel leer war setzte er das Kind wieder hin. Das Mädchen schluckte die Beeren und rülpste laut. Zu dem Schmutz das es schon im Gesicht hatte war sie um Mund und Nase rot vom Saft der Himbeeren. „Na du gefällst mir, aber für einen Menschen bist ziemlich hässlich weißt du das?“

Der Zwerg nahm sein Jagdmesser und schnitt die Haare des Kindes auf Schulterhöhe ab. Es war zwar nicht sehr gerade, aber sie glich nicht mehr einem Kobold. Wallungur schaute das Kind genauer an. Die Hände waren zart und weich, was nicht in diese Umgebung passte, Bauernkinder begannen bei der Arbeit zu helfen sobald sie eine Harke halten konnten. „Hey, hast du einen Namen? Ich heiße Wallungur.“ fragte er. Doch er bekam nur Gebrabbel zu hören und etwas das nach. „Walawur!“ klang. Der Jäger rechnete. Menschen wuchsen schneller als Zwerge wurden aber nicht so alt. Sie war ein Kopf kleiner als er, also musste sie neun Sommer alt sein.

 Er beschloss das Kind erst einmal mit zu nehmen, vielleicht traf er ihren Vater oder Mutter. Und wenn nicht dann ganz sicher im nächsten Dorf. Als der Regen nachgelassen hatte verließen sie die Baumhöhle. Am Anfang kamen sie zügig voran, doch bald fiel das Kind zurück. Wallungur knurrte etwas über schwächliche Menschenkinder. Doch als er die Fußsohlen des Mädchens anschaute, die voller Blasen und Abschürfungen waren, bekam er doch etwas Mitleid. Er nahm das Kind auf die Arme und trug es.


Als der Zwerg und das Kind ein Dorf erreichten wurden sie mit erstaunten Blicken empfangen. Wallungur fragte jeden der Ihm begegnete, doch niemand kannte das Mädchen oder hatte gehört dass ein Kind vermisst wurde. Der Jäger steuerte eine Schenke an. Er hatte Durst und das Kind brauchte etwas Richtiges zu Essen. In der Schenke tauschte er einen Nerz gegen ein Bier, eine Schale Haferbrei mit Fleisch und fünfzehn Kupfermünzen. Er setzte das Kind an einen Tisch und kurz darauf war das Essen da.
Wieder schob das Mädchen nur den Kopf vor und öffnete den Mund. Wallungur schaute sich um. „Kann jemand das Kind füttern? Sie ist ein Mensch!“ Der Zwerg erntete nur stumme Blicke. 

„Widerliches Volk, dann mache ich es halt selber!!“ fluchte er. Doch wie sollte er es machen? Er klemmte sich das Kind unter den Arm, nahm eine Handvoll von dem noch dampfenden Brei und schob es dem Mädchen in den Mund. Das Kind begann zu strampeln und zu weinen. Sie spuckte den Brei aus und schlug um sich. Wallungur spürte, das alle Augen auf ihn gerichtet waren und in ihm wuchs das Bedürfnis jedem in der Schenke den Schädel zu spalten. Sein Blick fiel auf das Kind, das sich wimmernd den Mund hielt. Er hatte gegen die Nachtalben gekämpft und einen Mudrock mit nur einem Beil nieder gestreckt.  Jedoch nun versagt er, zum ersten Mal fühlte sich der Jäger hilflos. „Was ist hier denn los?!!!“ rief eine Stimme.

Eine Gruppe Zwerge hatte den Schankraum betreten. Eine Zwergin, die anscheinend auch die Anführerin war, trat auf Wallungur zu. Sie trug einen Blank polierten Helm mit geschmiedeten Flügeln und ein eisernes Korsett, das Brust, Bauch und Rücken schützte. „Was machst du denn da?“ fragte sie streng. Die Zwergin zog einen Handschuh aus und tauchte einen Finger in den Brei. „Der ist ja kochendheiß! Und das schaufelst du dem Kind ins Gesicht?“ Sie nahm ihm das Kind weg, setzte es auf den Hocker und schob ihn zur Seite. Die Zwergin trocknete mit ihrem Ärmel die Augen des Kindes, dann griff sie den Löffel und begann das Kind zu füttern. Die anderen Zehn Zwerge und Zwerginnen hatten sich an einem großen Tisch niedergelassen und musterten Wallungur.

 Als die Schüssel leer war bestellte die Zwergin noch einen Becher Ziegenmilch und wandte sich an den Jäger. „Wer bist du und was machst du hier? Du bist doch ein Jäger aus dem Osten!“ Wallungur war sich nicht sicher was er antworten sollte. „Ich bin Wallungur Fuchstöter und was ich hier tue geht nur mich etwas an!“ Die Zwergin zuckte mit den Schultern. „Da hast du schon Recht, aber es sind unruhige Zeiten und allein zu Reisen ist riskant!“ Wallungur zuckte gleichgültig mit den Schultern.

Sie wischte dem Kind den Brei aus dem Gesicht und entdeckte die rötliche Färbung um Mund und Nase. „Hast du das Kind etwa Blut trinken lassen?!“ fragte sie argwöhnisch. „Ist nur Himbeersaft.“ antwortete er unschuldig. Sie sagte das sie das Kind waschen wolle und bestellte bei dem Wirt ein Zuber mit heißem Wasser auf ihr Zimmer. Sie nahm das Kind bei der Hand und zog es hinter sich her. Wallungur packte seine Tasche und folgte ihr. Die Zwergin blieb stehen und drehte sich um. „Was hast du vor, Jäger?“ fragte sie mit hochgezogenen Brauen. „Es ist mein Kind, ich hab es gefunden!“ protestierte der Zwerg. Der Zwergin schienen die Worte zu fehlen und ihre freie Hand ballte sich zu einer Faust. Nun wurde Wallungur klar wie dumm seine Bemerkung gewesen war und setzte sich wieder an den Tisch. Er bestellte noch ein Bier und riet dem Wirt den Koch raus zu schmeißen, weil dieser nicht für Kinder kochen könne.
Raziael/Überarbeitung:Rinasmaragdauge

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