Kapitel 6: Strafe muss sein
Mit bangem Herzen machte sich Camy auf den Weg in die
Ratshalle. Es war
weniger Zwergenvolk unterwegs, als es für diese Uhrzeit
eigentlich üblich war.
Doch die wenigen Zwerge die ihr begegneten, wandten den
Blick von ihr ab und
taten so, als würde sie nicht existieren. Als sie um die
letzte Ecke bog und sie
auf den Marktplatz schauen konnte, sah sie, wo all die
Zwerge geblieben waren.
Sie hatten sich dort versammelt und warteten auf ihr
Urteil. Scheinbar hatte
Mergol überall herum erzählt, was geschehen war. Bestimmt
war sie schon das
Gesprächsthema in den Tavernen. Suchend schaute sie sich
um, aber ihren Vater
konnte sie nirgends entdecken. Noch einmal holte sie tief
Luft, straffte die
Schultern und ging mit erhobenem Kopf durch die kleine
Gasse, die die Leute
für sie gebildet hatten. „Dir wird deine Hochnäsigkeit
noch vergehen, Camy
Silberblick. Nun bekommst du hoffentlich, was du
verdienst.“ zischte ihr ein
besonders wild aussehender Zwerg zu. Sie erkannte in ihm
einen Freund
Mergols. Er war einer derjenigen, der ihn zu Torgast
gebracht hatte.
Blass und zitternd vor Anspannung klopfte sie an die Tür
zur Ratshalle. Einen
Wimpernschlag später wurde die Tür geöffnet und Camy trat
ein. Die Stühle
wurden für die Versammlung um den großen Eichentisch
herum aufgestellt und
der ganze Rat hatte an ihm Platz genommen. ‚Gleich
alle Versammlungs- mitglieder sind erschienen. Das kann doch nur eines
bedeuten…‘
dachte sie verzweifelt.
Das Clanoberhaupt begrüßte sie mit einem Kopfnicken. „Wie
du siehst, hat sich
der gesamte Rat eingefunden, um bei der Verkündung deiner
Strafe anwesend
zu sein. Allerdings werde ich keinerlei Diskussionen
zulassen.“ Er sah die
Ratsmitglieder streng an und Camy spürte, dass er nicht
zu ihr gesprochen hatte.
„Ich habe lange über deine Strafe nachgedacht und es fiel
mir nicht leicht, eine
angemessene Bestrafung für dich zu finden. Du hast einen
Fehler gemacht und
hast dich dazu hinreißen lassen, deinen Gefühlen zu
folgen anstatt erst einmal
den Kopf zu benutzen. Ich kann nicht zulassen, dass wir
vom Clan der
Stahlfäuste uns gegenseitig demütigen. Wir müssen in
Zeiten wie diesen
zusammenhalten und dürfen uns das Leben nicht unnötig
schwer machen.
Deshalb wirst du heute nicht die einzige sein, die ihre,
hoffentlich gerechte,
Strafe erhält.“ Sein Blick wanderte zu Mergol. „Darum
werde ich auch zunächst
einmal Mergols Strafe verkünden. Du hast dich einer
Zwergin gegenüber
ungebührlich verhalten und sie zu ihrer Tat provoziert.
Du wirst vom Dienst bei
der Zwergenwacht 4 Wochen ohne Entgeld freigestellt und
wirst unseren
Heilern zur Hand gehen und tun, was sie von dir
verlangen. Ganz gleich, ob ihre
Anweisungen unter der Würde eines Kämpfers sind. Die
Heiler im
Genesungshaus werden sich sicher über deine Hilfe
freuen.“
Camy sah zu Mergol hinüber. Er hatte schlagartig die
Gesichtsfarbe gewechselt
und von seinem hämischen Gesichtsausdruck war nichts mehr
zu sehen. Er hatte
nicht mit einer Bestrafung für sich gerechnet und
Torgasts Miene ließ auch
keinen Widerspruch zu.
„Nun zu dir, Camy. Du weißt, wie es um unser Volk bestellt
ist und du weißt,
dass wir jeden Krieger im Kampf gegen die Orks dringend
benötigen, selbst
wenn es so einer wie Mergol ist. Wie du gehört hast, hat
auch Mergol eine
Strafe bekommen, die ihn vermutlich ein wenig schmerzen
wird. Und so habe
ich mir folgendes für dich überlegt: du wirst unseren
Clan für eine Weile
verlassen.“ ‚Für eine Weile…‘ dachte Camy. ‚Nur für eine Weile?‘Also
keine
Verbannung?‘
„Und zwar so lange wie es dauert, den Zeremonienhammer
der Stahlfäuste neu
zu schmieden.“ Bei seinen Worten ging ein ungläubiges
Raunen durch die
Reihen der Anwesenden. Der Zeremonienhammer war vor
vielen Jahren
während eines Kampfes zerstört worden, in einem Kampf an
dem Camys Vater
beteiligt gewesen war. „Dieser Hammer ist ein Symbol für
den Zusammenhalt
aller Zwergenclans und wurde einst von den besten
Handwerkern der fünf
großen Clans erschaffen. Du wirst dich nun auf die Reise
zu 4 dieser Meister
ihres Faches begeben und ihnen dabei helfen, uns einen
neuen Hammer zu
schmieden. Du wirst bei ihnen leben, ihren Sitten und
Gebräuchen folgen und
mit ihnen arbeiten. Du wirst tun, was man dir sagt, die
vier Bestandteile des
Hammers zusammensetzen und am Ende deines Weges nach
Hause zurück
kehren. Hier wirst du dann als fünfte Komponente den
stählernen Dorn
schmieden und ihn als letztes dem Hammer zufügen.“ Camy
starrte ihn mit weit
aufgerissenen Augen an. „Ich darf nach Hause zurück?“
fragte sie und blickte
hoffnungsvoll in die Runde. „Ja, du darfst nach Hause
kommen wenn deine
Aufgabe erledigt ist. Freu dich aber nicht zu früh: du
wirst dich unterwegs selbst
versorgen müssen. Um Geld zu verdienen, für Proviant und
ab und zu ein
gemütliches, warmes Bett wirst du Schmiedearbeiten bei
den Menschen
annehmen müssen. Oder die Arbeiten erledigen, für die sie
bereit sind dich zu
bezahlen. Während du bei den anderen Meistern wohnst,
werden sie dich mit
allem notwendigen versorgen. Ich habe schon Nachricht an
sie gesendet, sie
erwarten dich. Aber ich werde dich nicht allein auf die
Reise schicken. Mein
Bruder Wulfgast wird dich begleiten. Sobald er zum
Aufbruch fertig ist, wird
eure Reise beginnen. Möge euch der große Schmied
wohlgesonnen sein und
seine Axt schützend über euch halten. “
Mit diesen Worten schloss Torgast die Versammlung und
bedeutete Camy, dass
sie gehen konnte. Die Schmiedin starrte noch eine Weile
vor sich hin, ehe sie
begriffen hatte, dass sie zwar nicht verbannt wurde, aber
dennoch ihre Heimat
verlassen musste. Da packte sie jemand unsanft am Arm.
„In zwei Stunden
brechen wir auf. Zieh dir festes Schuhwerk an, wir haben
einen weiten Weg vor
uns. Und vergess nicht die Hälfte, wir werden nicht
umkehren, nur weil du dein
Schmusetuch daheim vergessen hast.“ brummte ein stämmiger
Zwerg. Camy
vermutete, dies sei ihr Reisebegleiter. „Du bist
Wulfgast?“ „Ja, der bin ich. Und
da dies jetzt geklärt ist, schwing die Hufe. Wir haben
nicht ewig Zeit.“
***
Viel Spass beim Lesen wünschen Euch Rina Smaragdauge und Raziael
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