Mittwoch, 28. August 2013

Kapitel 7: Thurisaz



Kapitel 7: Thurisaz


Camy wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Ihr war sehr wohl
bewußt, dass sie eigentlich noch einmal mit einem blauen Auge davon
gekommen war. Dennoch musste sie nun ihre Heimat verlassen. Aber sie durfte
wiederkommen und dieser Gedanke war ihr ein kleiner Trost. Vielleicht würde
ja ihr Vater durch ihre Abwesenheit wieder zur Besinnung kommen… entweder
das oder noch tiefer im Dreck versinken, denn sie glaubte nicht, dass sich ihr
Bruder um den alten Säufer kümmern würde. Aber wie sagte ein altes
Zwergensprichwort: Wenn die Glut auch noch so schwach glimmt, kann man
sie trotzdem noch zu einem richtigen Feuer anfachen. Und die Zwergin hoffte,
dass die Glut ihres Vaters noch nicht ganz erloschen war.
Sie lief rasch durch die Gassen, die Bewohner hatten sich vom Marktplatz
zurück gezogen und gingen nun ihren alltäglichen Verrichtungen nach. Sie
hatten erfahren, welche Strafe sie bekommen hatte und ihre Neugier wurde zu
genüge gestillt. Vermutlich waren sie sogar froh, sie los zu werden.
Zu Hause angekommen schaute sie nach, ob ihr Vater dort auf sie wartete. Doch
er war nicht da. Also ging sie nach oben und zog ihre gute Kleidung aus um sich
reisefertig zu machen. Dann faltete sie sie ordentlich und packte sie vorsichtig in
den großen Rucksack. Sicher, sie mußte zum Arbeiten fortgehen, aber dass hieß
noch lange nicht, dass sie wie eine Bettlerin rumlaufen musste.

Dann ging sie in die Küche und packte den Proviant ein. Gerade als sie in die
Wohnstube hinüber laufen wollte um die Pfeife und den Tabakbeutel vom
Kaminsims zum nehmen, klopfte es zaghaft an der Haustür. „Hey, die 2 Stunden
sind aber noch nicht um, Wulfgast!“ rief sie laut und riss die Tür auf.
„Wulfgast hätte nicht angeklopft. Er wäre einfach so ohne um Einlass zu bitten
in dein Haus gestürmt.“ Vor Camy stand eine Zwergin, die die Kapuze ihres
Umhanges tief ins Gesicht gezogen hatte. Es war offensichtlich, dass sie nicht
erkannt werden wollte.

„Und wer seid Ihr?“ fragte Camy die Fremde. „Und was wollt Ihr von mir?“
„Ich bin Ehrhild, Torgasts Frau. Ach bitte, willst du mich nicht hineinlassen.?
Was ich dir zu sagen habe ist nicht für fremde Ohren gedacht. Und was ich dir
geben möchte, muss auch nicht jeder sehen.“

Camy war ein wenig misstrauisch, denn eigentlich hatte sie nie viel mit Torgast
Sippe zu schaffen gehabt. Trotzdem ließ sie die andere Zwergin hinein.
„Möchtet Ihr einen Kaffa? Ich kann noch schnell einen frischen aufbrühen, ehe
ich los muss.“ Ehrhild lehnte dankend ab. Also geleitete Camy die Gattin des
Oberhauptes ins Wohnzimmer und bot ihr den bequemen Sessel an.
Unruhig trat Camy von einem Bein auf das andere. Diese Zwergin machte sie
irgendwie nervös, auch wenn Ehrhild sie freundlich und fast schon mütterlich
ansah. „Ich kann mir denken, dass dich mein Besuch überrascht. Jedenfalls lässt
mich das dein Gesichtsausdruck vermuten.“ Camy nickte. „Ich fasse mich kurz,
du wirst dich auch noch für die Reise vorbereiten müssen. Ich komme, um dir
dies zu geben.“

Sie drückte Camy einen Beutel mit Münzen und einen glatten Stein an einem
ledernen Band in die Hand. Vor Staunen fiel der Schmiedin die Kinnlade
herunter. „Was?!Aber?! Wieso?!“ stotterte sie. „Mein Kind, es gibt Zwerginnen
die von deiner Situation wissen und es nicht gutheißen, wie man hier mit dir
umgeht. Deshalb haben sie ihre Herzen und Geldbeute geöffnet und möchten
dich mit diesen Münzen ein bisschen unterstützen. Du hast eine lange Fahrt vor
dir und dieser Beutel wird sich schneller leeren als dir lieb sein wird. Du wirst
dich nach Arbeit umsehen müssen, dennoch wird es dir für den Anfang erst
einmal genügen.“ erklärte sie. „Bitte, nimm es! Es ist keine Schande Hilfe
anzunehmen.“ fuhr sie eindringlicher fort, als Camy protestierend den Mund
öffnete. „Ich kann es aber nicht annehmen, denn ich kann es Euch niemals
zurück zahlen.“ antwortete die Schmiedin stur und hielt Ehrhild den Beutel hin.
Die Zwergin hob abwehrend die Hände. „Nimm es. Es ist von niemandem
gegeben worden, der es sich nicht leisten könnte. Die Zwerginnen geben es dir
gern. Und wenn du unbedingt diese ‚Schuldbegleichen möchtest, dann kehre
gesund und erfolgreich von deiner Reise wieder. Das ist uns Dank und Lohn
genug.“ Camy schluckte angestrengt, aber der Klos in ihrem Hals wollte nicht
verschwinden. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ krächzte Camy heiser. „ Ein
einfaches Dankeschön scheint mir zu wenig.“ „Ein Dankeschön ist mehr als
manch andere über die Lippen bringen. Und mir genügt es, gerade weil ich weiß
wie schwer es dir fällt diese Gabe anzunehmen. Und ich spüre, dass dein Dank
von Herzen kommt und du ihn ehrlich meinst.“

Camy hängte sich den Beutel an den Gürtel und besah sich dann den Stein
genauer. Es war ein Anhänger aus Granit, auf dem eine Rune eingraviert wurde.
Fragend sah Camy auf, es war eine alte Rune und sie war ihr unbekannt.
„Das ist Thurisaz, eine uralte Rune.“ erklärte ihr Ehrhild, die den fragenden
Blick Camys aufgefangen hatte. „Sie steht für Stärke, für gute Neuigkeiten und
für ‚Das Tor‘. Weißt du, ein Tor bedeutet, Altes und die Vergangenheit hinter
sich lassen und sich auf Neues und die Zukunft einlassen. Dieser Anhänger soll
dir Glück bringen und dir die Stärke geben, diese Aufgabe zu bewältigen.“Camy
nickte und bedankte sich nochmals. Doch wieder wehrte Ehrhild ab. „Ich muss
nun gehen. Zu Hause wartet sicher schon ein hungriger Torgast auf sein
Mittagessen. Hungrig ist er sprichwörtlich einfach ungenießbar…Und du musst bald aufbrechen.“

Camy begleitete die Zwergin zur Tür, diese zog sich die Kapuze tief ins Gesicht.
Als sie sich verabschiedete, umarmte sie die Schmiedin fest und wünschte ihr
alles Gute. Der Schmiedin traten Tränen in die Augen, denn solch eine herzliche
Umarmung hatte sie schon lange vermisst.

„Und zu guter Letzt noch eines: Wulfgast ist ein grober, unbehauener
Felsbrocken, aber eigentlich ist er ein feiner Kerl. Man gewinnt seine
Freundschaft nicht so leicht, aber wenn doch, dann ist er der treueste Freund den
man sich nur wünschen kann. Er wird grummeln und maulen, aber er wird gut
auf dich achten. Du kannst dich auf ihn verlassen. Nun leb wohl, Kind des
Großen Schmieds. Möge auch er ein oder zwei Augen auf dich werfen. Dies ist
deine Gelegenheit durch das Tor zu schreiten, also nutze sie gut, Camy.“
Mit diesen Worten verschwand sie. Und hätte Camy nicht die Rune in ihrer
Hand gehalten, hätte sie gedacht sie hätte das alles nur geträumt. Sie wunderte
sich über das eben erlebte, doch nun drängte die Zeit: sie hatte auf Reisen noch
genug Gelegenheit darüber nachzudenken.

Also packte sie die Pfeife in den Tabaksbeutel und hängte ihn sich an den
Gürtel. Dann nahm sie ihre kläglichen Einnahmen vom Vortag und tat sie in den
Geldbeutel, den sie von den unbekannten Zwerginnen geschenkt bekommen
hatte. Rasch lief sie nach oben, zog ihren Umhang an, schulterten ihren
Rucksack und die Umhängetasche mit ihrem Werkzeug und nach einem letzten
Kontrollgang durch ihr zu Hause machte sie sich auf den Weg. ‚Auf
Wiedersehen. Ich hoffe, ich bleibe nicht zu lange fort.‘ dachte sie, als sie die
Haustür abschloss. Dann fiel ihr ein, dass sie ja den Schmiedehammer in der
Küche vergessen hatte.

Eilig drehte sie erneut den Schlüssel im Schloss, hastete in die Küche und
hängte sich den Hammer um. Als ihr Blick auf das rotkarierte Geschirrtuch fiel,
grinse sie breit und nahm es mit.
Schwer bepackt traf sie schließlich am Marktplatz ein, doch Wulfgast war noch
nicht dort eingetroffen. Als sie ihn von Weitem kommen sah, winkte sie ihm mit
dem Geschirrtuch: „Na endlich, da bist du ja! Und hier ist auch mein
Schmusetuch.“

*** 
geschrieben von Rina Smaragdauge, bearbeitet von Razial

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