Mittwoch, 26. Februar 2014

Kapitel 12: In der Stadt der Langen



Kapitel 12: In der Stadt der Langen

Drei Tage waren sie schon unterwegs und nichts Besonderes geschah. Der Sturm hatte sich gelegt und der Weg war vom leichten Dauerregen durchweicht. Jeden Abend gab ihr Wulfgast Unterricht, auch wenn er es Camy nicht sagen würde: sie hatte schon ein gewisses Talent zum Kämpfen. Langsam schloß er die Zwergin ins Herz und auch die Schmiedin gewöhnte sich an das knurrige Wesen des Zwerges. Seine Schwägerin hatte wohl Recht; man gewann seine Freundschaft wirklich nicht so leicht, aber er hatte sein Herz auf dem rechten Fleck. Sie wollte unbedingt als gute Kämpferin zurück kehren und deshalb gab sie sich besonders viel Mühe. Zum Glück hatte sie durch das Schmieden schon einige Kraft in den Armen und durch das stramme Marschieren wurde die Zwergin immer ausdauernder. Camy genoss ihre neugewonnene Freiheit und die wunden Füße würden bald verheilen und vergessen. 

Zur Mittagsstunde erreichten sie eine kleine Stadt und Camy erledigte ein paar Schmiedearbeiten für die Stadtbewohner, denn der ortsansässige Schmied hatte sich bei einer Schlägerei den Arm verstaucht. So war eine Menge Arbeit liegen geblieben und mit dem Verdienst konnte sich die beiden Reisenden ein Zimmer und ein warmes Mahl leisten. Das Geld, dass Camy bei sich trug mußte ja schließlich noch eine ganze Weile reichen und dem Zwerg wollte sie nichts schuldig bleiben, denn er half ihr ohnehin schon viel zu sehr.

Wulfgast hatte sich, während sich Camy in der Schmiede abrackerte, auf die Suche nach einem freien Zimmer gemacht und sich ein wenig die Stadt angesehen. Es war wohl Markttag, denn es herrschte rege Geschäftigkeit in den Straßen. Gaukler gaben ihre Kunststücke und Zaubertricks zum Besten. Und natürlich durften auch die vielen Bettler nicht fehlen, die verwahrlost und mit hungrigem Blick nach Almosen bettelten. 

Auf dem Marktplatz stand eine improvisierte Bühne. Scheinbar sollte hier auch noch ein Schauspiel aufgeführt werden. Neugierig blieb der Zwerg stehen und wartete mit den Menschen auf den Beginn der Vorstellung. „Ich hab ja schon von den Aufführungen der Menschen gehört,“ sagte er an den Mann gerichtet, der neben ihm stand, „aber ich dachte eigentlich immer, daß mehr Requisiten auf der Bühne stehen würden.“ Der Mann blickte irritiert auf Wulfgast hinab: „Hier findet doch keine Aufführung statt, Herr Zwerg. Das heißt aber nicht, dass man nicht doch etwas geboten bekommt. Da, seht ihr: der Scharfrichter wetzt schon die Henkersaxt. Heute ist Hinrichtungstag.“

Wulfgast traute seinen Ohren kaum. Verständnislos ließ er seinen Blick über die Menge schweifen: Eltern mit ihren Kindern, die kandierte Früchte naschten. Männer und Frauen die munter schwatzten und Bier oder Wein tranken. Menschen die fröhlich lachten und ab und an erwartungsvoll zur Bühne blickten. 

‚Die Langen machen aus einer Hinrichtung ein Volksfest. Ganz so, als wäre überhaupt nichts dabei wenn Menschen sterben. Und ihrem Nachwuchs bringen sie es auch gleich bei!‘ dachte er und als er gerade fragen wollte, was denn die Verurteilten verbrochen hätten, wurden die Gefangenen auf die Bühne geführt. Dort bekamen sie ihre Urteile verlesen: Viehdiebstahl, Betrug und Ehebruch. „Das ist alles, was sie sich zu Schulden kommen ließen?! Also bei uns zu Hause wird das allerdings anders geregelt!“ Angewidert wandte er sich ab: bei solch einer Ungerechtigkeit wollte er nicht auch noch zusehen. Plötzlich begann die Menschenmenge zu jubeln und zu johlen: die Hinrichtungen hatten begonnen. 

Der Zwerg mußte seine Ellbogen einsetzen um sich einen Weg durch die vielen Leute zu bahnen. Am Rand des Geschehens erblickte er den Stand eines Bäckers und der verführerische Geruch von frisch gebackenem Kuchen ließ ihm das Wasser im Mund zusammen laufen. Er hörte den Bäcker wütend schreien und sah ihn auf ein zerlumptes Bündel einschlagen. Wulfgast beschleunigte beunruhigt seinen Schritt und sah genauer hin: ‚Ja war das denn die Möglichkeit?! Spinnen denn hier alle Langen?!‘  

Der Mann hatte einen etwa 10 Jahre alten Jungen am Kragen gepackt und schlug auf ihn ein. Der wehrlose Knabe trug dreckige, zerlumpte Kleidung und war keinesfalls so gut genährt wie er eigentlich hätte sein sollen. Er wimmerte bei jedem Schlag und rief leise um Hilfe. Die umstehenden Menschen blickten entweder beschämt zur Seite oder gaben dem Händler mit bestätigenden Blicken stumm Recht. Doch niemand rührte auch nur den kleinen Finger um dem Kerlchen zu helfen. 

Endlich hatte Wulfgast die Beiden erreicht. „Hey, du da!“ rief er empört. „Laß sofort den Jungen los und such dir gefälligst einen Gegner in deiner Gewichtsklasse, du feiger Fettsack!“ Der Händler dachte gar nicht daran, von dem Kind abzulassen. Nun hatte der Krieger endgültig genug. Er packte seine Axt und verpaßte dem Bäcker mit dem Eichenstil einen kräftigen Hieb auf die Hand und traf die empfindlichen Handknöchel. Aufjaulend ließ der Mann den Knaben los. 

Wulfgast half dem weinenden Jungen auf und reichte ihm sein Taschentuch damit er es sich an die blutende Nase drücken konnte. „So, jetzt zu dir. Was beim Barte des Großen Schmieds ist denn in dich gefahren?! Schämst du dich denn nicht, einen wehrlosen Knaben derart zu zu richten?!“ „Er hat mich bestohlen. Einen ganzen Laib Brot hat er sich genommen ohne zu bezahlen. Eingesperrt gehört er und nie wieder raus gelassen!“

Wulfgast zog den vermeintlichen Dieb sanft am Arm. „Schau dir den Jungen doch nur mal an. Er ist abgemagert, hungrig, zerlumpt und wohnt vermutlich auf der Straße. Gewiß, es ist unrecht zu stehlen, aber es gibt doch bestimmt wesentlich angemessenere Strafen, als ihn windelweich zu prügeln. Er hat Hunger und kämpft ums Überleben, da hättest du ihm ruhig etwas von deinem trockenen Brot abgeben können. Aber so wie du aussiehst weißt du bestimmt nicht, was es heißt Hunger zu leiden, du schmieriger Fettsack!“

„Scher dich gefälligst um deinen eigenen Mist, du bärtiger Dreckwühler und krabbel zurück in das Loch aus dem du gekrochen bist!“ „Sag das noch mal, wenn du dich traust. Aber du mußt dir schon sicher sein, daß du das Echo verträgst, du großmäuliger Mistkerl. Denn wie man in den Stollen hineinruft schallt es heraus!“ 

Der Mann ließ sich nicht zweimal bitten und war der Meinung, daß er das Echo sehr wohl vertragen konnte. Ungelenk schlug er nach Wulfgast, doch dieser hatte mit dem Angriff gerechnet und wich behände aus. Wieder schlug er mit dem Stil der Axt nach dem Händler und traf dieses Mal die Rippen. Dann verpasste er ihm einen harten Aufwärtshaken und hieb die Waffe erneut auf den Brustkorb. Und dieses Mal hörte der Zwerg das leise Knacken der Rippen. 

Die umstehenden Menschen hatten sich wohl entschieden, nun nicht mehr wegzusehen und riefen laut nach der Stadtwache. Und die war schneller da, als es Wulfgast lieb war. Die Menschen erzählten den Soldaten, daß der Zwerg wie wild geworden grundlos auf den Bäcker eingeschlagen hätte. Die Wachen glaubten ihnen und dem Krieger hörten sie gar nicht zu: sie zeigten  kein Interesse an seiner Version der Vorkommnisse. 

Ehe sie ihn packten und zum Stadtgefängnis bringen konnten, hatte Wulfgast gerade Zeit genug um dem Jungen zu zu rufen: „Meine Reisebegleiterin Camy arbeitet in der Schmiede. Du erkennst sie sofort: sie ist eine Zwergin. Sag ihr bitte, Wulfgast steckt in Schwierigkeiten und erzähl ihr was passiert ist!“ Der Junge nickte und verschwand in der Menge, ehe die Stadtwache auch ihn festnehmen konnte. 

Der Knabe hatte in seinem bisherigen Leben noch nie solch eine große Unterstützung und Hilfe erhalten und war dem Zwerg deshalb sehr dankbar. Und so machte er sich tatsächlich auf die Suche nach der Zwergin. Doch er mußte sich beeilen, die Stadtwache wollte ihn gewiß auch gefangen nehmen und wußte, daß er auf dem Weg in die Schmiede war. Deshalb rannte er so schnell ihn seine Füße trugen um vor ihnen dort zu sein. 

Nach Atem ringend stürzte er hinein und japste: „Camy?...Wulfgast….Schwierigkeiten…Verhaftet…. Stadtwache jagt mich….“ Doch die Schmiedin war nicht da. Sie hatte sich entschlossen, eine kleine Pause einzulegen. Also versteckte sich der Junge und wartete. Als nach einer gefühlten Ewigkeit weder Soldaten noch Zwergin auftauchen, schlich er sich aus seinem Versteck und verschwand in der Abenddämmerung. 

Die Stadtwache hatte Camy währenddessen gefunden, gerade als sie herzhaft in eine mit viel saurer Sahne und Kräutern belegte Stulle beißen wollte….

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Viel Spass beim Lesen, Eure Rina Smaragdauge
 

Mittwoch, 19. Februar 2014

Kapitel 10: Große Klappe, doch nichts dahinter u. Kapitel 11: (Nass)Kalt erwischt!



Kapitel 10: Große Klappe, doch nichts dahinter 

Debor atmete noch ein letzte Mal tief durch, ehe er seinem Begleiter das Zeichen für den Angriff gab. Gemeinsam stürzten sie auf den alten Zwerg zu und versuchten ihn mit ihren Todschlägern zu erwischen. Doch ehe sich die beiden versahen, war er den Schlägen behände ausgewichen. Höhnisch grinsend und auf seine Axt gestützt besah er sich seine Angreifer feixend. „Nun, geht es jetzt endlich los? So ein alter Trottel wie ich hat nicht ewig Zeit. Ich will das hier hinter mich bringen, ehe ich an Altersschwäche sterbe.“

„Na warte. Gerwyn und ich haben ja noch nicht mal angefangen, dir ein zu heizen.“ knurrte Debor, warf den Todschläger beiseite und zog sein schartiges Schwert. Der Zwerg namens Gerwyn schlang sich den Todschläger fester um die Hand, stapfte in Richtung Wulfgast und täuschte einen Angriff vor. Der alte Zwerg hatte die Finte gerochen und machte eine schnelle Drehung und duckte sich unter dem Schlag hindurch. Mit dem Axtstiel schlug er nach den Beinen und fegte sie unter ihm weg. „Uff.“ stöhnte Gerwyn, als er scheppernd auf dem Hosenboden landete.
Debor nutzte die Gelegenheit und startete ebenfalls seinen Angriff und drosch linkisch und unbeholfen auf Wulfgast ein, der die Hiebe lächelnd und ohne große Mühe mit dem Axtstiel abwehrte. Bald wurde Camys Bruder müde, während der mindestens 3 mal so alte Zwerg noch nicht einmal außer Puste war. Mittlerweile hatte sich Gerwyn aufgerappelt und schlich sich hinterrücks an den Begleiter Camys heran, doch der Wind stand ziemlich ungünstig für ihn und der Zwerg hatte schon eine Weile kein Bad mehr genommen. So konnte Wulfgast den Angriff förmlich riechen.

Er machte einen kleinen Ausfall, hieb zuerst Debor mit dem Stiel auf die Nase, dann stieß er rücklings mit dem Axtkopf in Gerwyns Bauch. Der heftige Schlag nahm ihm den Atem und nach Luft ringend sank er auf die Knie. Nun hatte sich auch Mergol wieder gefangen und rappelte sich auf. Halbherzig stolperte er auf Wulfgast zu, holte mit dem Todschläger aus und…. verfehlte den Zwerg. Statt dessen blieb er mit der Socke in einem tiefhängenden Ast hängen und entwaffnete sich selbst. Überrascht sah er zu Wulfgast hinüber, der sich fröhlich pfeiffend auf seine Axt stützte. Mergol blickte sich ängstlich nach einer Waffe um. Ein Stock oder so etwas Ähnliches hätte ihm ja schon genügt. „Na Jüngelchen? Soll dir der alte Sack mal eben den Hosenboden stramm ziehen?“

„Nein. Bitte nicht. Ich denke, sie haben genug. Laß sie vom Haken, Wulfgast.“ Schwankend und käseweiß im Gesicht hatte sich Camy zwischen Wulfgast und die 3 Angreifer gestellt. „Sie haben ihre Lektion erteilt bekommen.“ Beinahe flehend schaute sie Wulfgast an. „Bitte, ich muß doch wieder nach Hause. Es wird ohnehin schon schwer genug dort für mich. Wenn du ihnen jetzt den Rest gibst, wird es bestimmt noch schlimmer.“ flüsterte sie nur für ihren Beschützer hörbar.
Wulfgast nickte knapp und in seinem Gesicht spiegelte sich leichte Enttäuschung. „Na gut. Ihr entschuldigt euch bei Camy und dann trollt ihr euch so schnell ihr könnt.“ Er zog die 3 nacheinander auf die Beine. Die Schmiedin zuckte mit den Schultern: „Ich brauche keine Entschuldigung, die ohnehin nicht ernst gemeint ist. Ich verzichte darauf.“ Der Zwerg nickte und gab den dreien zum Abschied mit dem Axtstiel einen Klaps auf den Hintern.

„Das nächste Mal…“ er hob drohend die Waffe… „bin ich nicht so gnädig. Dann mache ich euch kleine Windelkacker einen oder auch 2 Köpfe kürzer.“ Dann nahm er ihnen die Waffen ab. „Zu guter Letzt noch einen guten Rat für auf den Weg: blutet nicht zu dolle, daß lockt nur Warge und Orks an.“
Als sie endlich gegangen waren, drehte sich Wulfgast zu Camy um, die sich mit zitternden Knien an einen Baum gelehnt hatte. „Und nun zu dir. Warum im Namen des großen Schmieds hast du dich nicht gewehrt?! Wälzt dich wimmernd im Dreck herum wie ein geprügelter Hund!“ Zu spät hatte er die Tränen bemerkt, die über die Wangen der schmächtigen Zwergin liefen. ‚Ach Scheiße, jetzt heult sie auch noch.‘ dachte er grummelnd und bereute seine harschen Worte ein bißchen.

„Ich…ich…ich... weiß doch gar nich wie…Ich hab nur gelernt…“ schluchzte die Schmiedin. „Was gelernt?“ unterbrach er sie barsch. „Dich zu ducken und abzuwarten bis es vorbei ist?! Lieber stillschweigend alles, wirklich alles, zu ertragen und eher ein zu stecken als aus zu teilen?“ Mit diesen Worten griff er zu seinen Beilen und warf sie Camy vor die Füße. „Hier, daß sind jetzt deine Waffen. Ab morgen wirst du lernen damit umzugehen. Dann lernst du eben nicht nur das Kochen von mir, sondern auch das Kämpfen. Neben Gehorsamkeit sind das die 2 Dinge, die ein Zwerg an einer Zwergin besonders schätzt…glaub ich.“

Er ging zu Camy hinüber, packte sie sanft am Arm und zog sie zum Lagerfeuer. „So, nun versorge ich deinen Kopf und dann gehen wir schlafen. Sonst geht es dir gut? Haben sie dir noch etwas getan?“ fragte er mit einem Anflug von Besorgnis in der Stimme. Camy schüttelte verneinend den Kopf. 

„Danke. Du warst heute richtig toll. Ich bin froh, daß du mit mir auf Reisen bist. Ohne dich wäre ich heute bestimmt nicht nur mit einer Beule am Kopf davon gekommen.“ Sie drückte dem Zwerg schüchtern die Hand. Zum Glück leuchteten ihre Gesichter durch das Lagerfeuer ohnehin schon rötlich, sonst wäre der Zwergin aufgefallen, daß Wulf gast unter seinem struppigen Bart verlegen errötete. „Nichts zu danken. Irgendwie hat es mir auch Spaß gemacht, die 3 Weichzwerge zu vermöbeln.“

***


Kapitel 11: (Nass)Kalt erwischt!

Die beiden Zwergen hatten nach dem dreisten Überfall nur einen sehr unruhigen Schlaf gefunden. Wulfgast hatte die Zwergin weinen hören, obwohl sie versuchte es vor ihm zu verbergen. Aber ihr Selbstmitleid konnte er gut in Wut verwandeln und in den Unterrichtsstunden mit ihr anwenden. Langsam verstand er, warum sie sich mit solch albernen Streichen an den männlichen Zwergen gerächt hatte. Irgendwann hatte auch der friedfertigste die Schnauze von diesen Demütigungen voll. Und gegen ihre Brüder und den Vater konnte sie sich einfach nicht zur Wehr setzen; Familie bleibt eben Familie. Oder wie die Menschen gerne sagten: Blut ist dicker als Wasser. Das wußte er nur zu gut, denn sein eigener Bruder warf einen großen Schatten, zu groß als das er aus ihm heraustreten könnte. 

Als das erste rötliche Schimmern am Himmel aufflackerte, stand er leise auf, reckte die steifen Glieder und ging Feuerholz suchen. Dann entfachte er ein gemütliches, warmes Zwergenfeuer, ehe er mit seinem Kessel an den kleinen Bach ging um Wasser zu holen. Camy schlief immer noch fest und zuckte noch nicht einmal mit der Wimper als der Krieger mit dem Kessel klapperte: ein Troll hätte durch das Lager trampeln können ohne das die Schmiedin aufgewacht wäre. 

Vorsichtig trug er das eiskalte Nass zurück, besah sich die Zwergin eine kleine Weile und überlegte wie er sie am besten Wecken könnte. Dann fiel ihm die passende Möglichkeit ein: grinsend kippte er schließlich den Kübel über ihr aus. Schreiend und prustend schreckte Camy aus dem Schlaf, sprang quickend auf und wollte dem Zwerg an die Gurgel springen. Doch ihr Fuß verhedderte sich in einer Decke und sie fiel der Länge nach direkt vor Wulfgasts Füße. 

„Na, bist du jetzt wach?“ fragte er hämisch auf sie herab grinsend. „Dann Lektion 2: immer kampfbereit sein, vor allem in der freien Natur. Du weißt nie was dich erwartet. Also lass dir Augen am Hinterkopf wachsen, höre immer gut auf die Umgebung und schlafe nie so tief, daß du den Angriff womöglich verpennst und eines Morgens tot aufwachst.“ Er zeigte auf den leeren Kessel. „So, nun gehst du zum Bach und holst frisches Wasser.“

Grummelnd rappelte sich die Zwergin auf, schnappte sich ihren Umhang und rieb sich einigermaßen trocken. Dann stiefelte sie zum Bach, aber nicht ohne dem Zwerg noch einen böse funkelnden Blick zu zuwerfen. Ehe sie Wasser schöpfte ging sie zunächst Zwergenwasser abschlagen und ihren Trinkschlauch auffüllen. Sollte der alte Knacker ruhig noch ein bißchen länger auf sein Frühstück warten. So ungeschoren konnte sie ihn nicht davon kommen lassen. Dann ging sie langsam schlendernd zurück zum Lager.
„Hier, das Wasser.“ rief sie ihm schon aus einiger Entfernung entgegen. Wulfgast kam ihr hilfsbereit entgegen geeilt. „Laß mich dir den schweren Kessel doch abnehmen.“ Bot er scheinheilig seine Hilfe an und nahm ihr den Kessle ab. Dann holt er damit aus und erneut traf ein Schwall kalten Wassers die Schmiedin. „Hast du nicht was vergessen?!“ Wütend und klitschnass zuckte Camy mit den Schultern: „Was denn, verdamm mich noch eins?!“ fauchte sie Wulfgast an.“Lektion 1: Immer die Waffe griffbereit halten. Du bist ohne deine Waffe losgezogen! Was wäre denn gewesen, wenn Orks dir aufgelauert hätten oder sich dein Bruder mit seinen Freunden am Bach versteckt hätte?! Du könntest nun verletzt oder sogar tot sein!“ ‚Und wer würde dafür wieder die Schuld zugewiesen kriegen?‘ fügte er in Gedanken hinzu.

Wütend brüllte Camy zurück: „Hättest du mir das nicht anständig sagen können? Ich werde mir noch einen Schnupfen holen. Ich bin doch kein stinkendes Maultier, das dringend ein Bad benötigt. Und außerdem kapiere ich auch viel schneller!“ „Sehr gut, du bist böse auf mich. Dann hab ich dir also dein Selbstmitleid davon gespült. Genau so soll es sein: anstatt rumzuheulen und dir selber leid zu tun bist du wütend. Also richte doch in Zukunft deine Wut auf diejenigen, die dich demütigen oder dir ans Leder wollen. Aber verliere dabei nie, wirklich nie, den Kopf, wenn du dich in den Kampf stürzt. Das wird dein Gegner erkennen und es gnadenlos ausnutzen. Und glaube mir: Gnade ist das Letzte, daß du von ihm erwarten kannst. Denn schließlich geht es normalerweise um Leben und Tod.“ 

Camys Protest verstummte. Sie hatte dem Zwerg aufmerksam zugehört, nickte dann, nahm den Kessel und eines ihrer beiden Beile, die ihr der Zwerg am Abend zuvor vermacht hatte, und ging erneut zum Bach. Währenddessen bereitete Wulfgast das Frühstück zu und kochte nach Camys Rückkehr vom Bach den Kaffa. Schweigend hielt er ihr den dampfenden Becher hin, den Camy dankbar nickend annahm. „Werde erst einmal wieder trocken und warm. Dann geht‘ s weiter. Wir haben noch einen langen Weg. Und sei nicht so böse auf mich, ich meine es doch nur gut mit dir.“ „Ja ja, schon gut. Aber warte nur, bis ich eine gute Kämpferin bin. Dann kriegst du ein bißchen was heim gezahlt. Und glaub mir: ich meine es dann auch nur gut.“ schmunzelte sie und zwinkerte ihm zu. 

„Nur nicht frech werden, Kleine.“ grummelte der Krieger, konnte aber selber ein leichtes Schmunzeln nur schwer unterdrücken. Nach dem Frühstück brachen sie auf und Wulfgast legte ein schnelles Tempo vor. Das schadete ihrer Ausdauer auf keinen Fall. Unterwegs begegneten sie bis zum Abend keiner Menschenseele und gingen meist schweigend nebeneinander her. 

In einer alten und baufälligen Scheune richteten sie sich schließlich für die Nacht ein. Draußen zog ein Unwetter auf und der Sturm riss an den Schindeln des alten Daches und Klappern dröhnte laut in den Ohren der Zwerge. Ehe sie ein wärmendes Feuer entzündeten, bekam Camy weitere Lektionen erteilt. Wulfgast zeigte ihr wie sie das Beil zu halten hatte, wie sie am Besten zuschlug und wie man Gegenangriffe parieren konnte. Er hatte einen alten Besenstiel gefunden und täuschte einen Angriff nach dem nächsten vor.

Rasch kam die Zwergin ins Schwitzen und ihr Atem ging schneller, während der Krieger nur herausfordernd grinste und keine Anzeichen von Müdigkeit zeigte. Doch Camy beschwerte sich nicht und folgte ohne zu Murren den Anweisungen des Kriegers. Nach 2 Stunden ließ er von der Schmiedin ab. „Deine Reflexe sind gar nicht so schlecht, aber du denkst zu viel nach. Behalte deinen Gegner immer gut im Auge; achte auf die kleinsten Bewegungen und bald schon wirst du am Zucken der Schulter erkennen können was er im Schilde führt. Finde seine Schwächen heraus und nutze sie gegen ihn.“ Die Zwergin nickte und nahm einen großen Schluck aus ihrem Trinkschlauch. 

„Und ab heute üben wir jeden Abend. Mach nie den Fehler und halte dich für zu gut um zu trainieren. Du wirst hart genug dafür arbeiten müssen um richtig gut zu werden. Wenn du dich zu sehr auf deinen Lorbeeren ausruhst, verlernst du alles wieder.“ Er packte den Stecken weg und machte sich daran ein Feuer zu entzünden. Noch ehe es hell aufloderte und die Scheune in gemütliche Wärme tauchte, hörte er das leise Schnarchen der Zwergin: sie war vor Erschöpfung ohne Abendessen eingeschlafen. ‚Sie hat mehr Talent als sie ahnt und ich zu hoffen gewagt hätte. Ehe wir nach Hause zurück kehren, braucht sie keinen Beschützer mehr. Dann kann sie gut auf sich selbst aufpassen.‘ 

Schmunzelnd nahm er sich ein Stück getrocknete Wurst und einen Kanten Brot aus dem Proviantsack, wickelte sich in seine Decke und hörte dem Sturm zu, dessen Melodie immer wütender wurde. Nach einer Weile schlief auch der Krieger ein und schlief einen traumlosen Schlaf.

* * * 
Nach einer kleinen Schaffenspause geht es hier mit Camy weiter. Zur Entschädigung bekommt Ihr heute gleich 2 Kapitel zu lesen und ich wünsche Euch dabei viel Spaß. Danke an Raziael, der mir mit Rat und Tat zur Seite steht. Eure Rina Smaragdauge